Freitag, 18. Oktober 2013

Wir haben uns getraut.

Wenn man mit Freunden spricht, die nicht mehr ganz so frisch verheiratet sind, bekommt man oft etwas zu hören wie: „An die Trauung selbst kann ich mich gar nicht mehr so richtig erinnern. Ich war so aufgeregt und alles ist abgelaufen wie im Film...“. Ich werde das mit ziemlicher Sicherheit niemals sagen und bin in diesem Zusammenhang froh, dass ich kein Arachnophobiker bin.

Aber von vorn:
Am Morgen meines Hochzeitstages war ich die Ruhe selbst. Ich musste immer wieder daran denken, wie mir viele verheiratete Frauen gesagt hatten, sie seien das reinste Nervenbündel gewesen – das konnte ich gar nicht nachvollziehen. Ich hatte Spaß. Die Nacht vor der Hochzeit hatte ich mit meiner Schwester (und Trauzeugin) auf Burg Warberg verbracht, wo auch die Hochzeitsfeier stattfinden sollte. Schwatzend, kichernd, Fingernägel lackierend und bastelnd vertrieben wir uns den Abend (Tischdeko, Blumenarrangements und Gästebuch hatten mein Mann und ich selbst geplant und das Eine oder Andere wollte an diesem Abend noch fertiggestellt werden).

Der kommende Morgen war schließlich herrlich sonnig und brachte mir meinen besten Freund und seinen Lebensgefährten, der Maskenbildner von Beruf ist (was bin ich doch für ein Glückskind). Die beiden machten sich bei meiner Schwester und mir ans Werk was Haare und Make-Up anging, während der Fotograf eintraf, um einige Momente der Vorbereitung einzufangen. Von ihm hörte ich, er habe noch niemals eine so gelöste Truppe und eine dermaßen entspannte Braut erlebt. Nachdem auch meine Mutter und Schwiegermutter eingetroffen waren, die mir noch etwas Geliehenes und etwas Blaues verpassten, und wir ein wenig Sekt intus hatten, holte mich schließlich mein absolut und total nervöser Papa mit dem Brautauto ab. Er war stolz wie Oskar. Es ist herrlich, sich daran zu erinnern.

Ich war immer noch die Ruhe selbst. Auf der Fahrt zum Palmenhaus Destedt, wo die Trauung stattfand, riss mein Onkel (Fahrer des Brautautos) das Radio auf und meine Schwester und ich grölten auf der Rückbank laut den Song „Fireworks“ von Katy Perry. Während dessen navigierte uns mein Onkel laut hupend durch die Vororte und schreckte damit lediglich ein paar Bauern auf, die nicht so recht wussten, was davon zu halten war, dass ein weißes, blumengeschmücktes Auto, aus dem dröhnende Musik in das Dorfidyll drang, laut posaunend an ihnen vorbei fuhr, ohne eine Schlange weiterer Autos hinter sich her zu ziehen (Gäste und Bräutigam warteten zu diesem Zeitpunkt bereits brav am Palmenhaus auf das Eintreffen der frohgelaunten Braut).

Kurz darauf durchschritt ich in einem Traum in Weiß und frischen Blumen im hochgesteckten Haar am Arm meines Vaters den Schlossgarten von Destedt – immer noch tiefenentspannt und in freudiger Erwartung auf meinen Bräutigam, die Familien und Freunde, die alle im Palmenhaus auf uns warteten. Wir umrundeten den letzten Busch, bevor die wunderhübsche Orangerie in Sicht kam – ich, völlig souverän in dem Wissen, dass mich nun alle durch die große Fensterfront heranschreiten sahen, immer noch in mir ruhend.

Dann erreichten wir die offen stehende Flügeltür und traten ein. Ich hatte die Situation total im Griff, achtete auf die kleine Stufe, hob mein Kleid an, geriet nicht ins Stolpern, blickte auf und … bekam die Flatter meines Lebens. Alles Blut schoss unvermittelt direkt vom Kopf in die Füße, alles kribbelte, mein Herz machte Anstalten, direkt durch die Brust ins Freie zu springen und mein Blick klebte an dem Antlitz meines Liebsten, der sich seinerseits an der hohen Stuhllehne vor dem Trautisch festhalten musste, um nicht umzufallen. Er hatte Tränen in den Augen und starrte mich unverwandt an. Er wirkte so überwältigt, dass es mir den Boden unter den Füßen wegriss. Von diesem Moment an, kann ich mich nicht mehr daran erinnern, auch nur einen Schritt gemacht zu haben. Ich bin ziemlich sicher, dass ich auf meinen Bräutigam zugeschwebt bin, während alle Anwesenden um uns herum in Nebelschleiern versanken.

Mein Vater legte unsere Hände ineinander und sagte etwas, das ich mir unbedingt merken wollte und schon zwei Sekunden später wieder vergessen hatte. Wir setzten uns dem Standesbeamten gegenüber an den Tisch. Ich strahlte und strahlte und musste mich kurz darauf zwingen, die Lippen zu schließen, damit sie nicht Gefahr liefen, an meinen Zähnen kleben zu bleiben. Ein seltsames Gefühl – vor lauter Glück nach Fassung ringen zu müssen. Der Standesbeamte – ein echter Haudegen mit trockenem Humor und weitreichender Erfahrung was das Thema Ehe (und Scheidung) angeht – begann zu reden. Ich bemerkte das daran, dass sich seine Lippen bewegten – konnte ihm aber unmöglich folgen. Ich lächelte ihn an und hörte nicht ein Wort von dem was er sagte. Mein Blick schweifte ab auf etwas, dass sich vor seiner Brust bewegte. Und da war sie – die winzig kleine Vertreterin der Kieferklauenträger.

Diese kleine Spinne hatte sich einen Faden vom Kinn des Standesbeamten abwärts gezogen und baumelte nun – wahrscheinlich fröhlich grölend wie ich auf der Schiffschaukel im Heidepark Soltau – immer hin und her und hin und her und hin und... „Wie lange sitzt der wohl schon hier, wenn sogar schon die Spinnen anfangen, ihn als Inventar zu betrachten?“ scherzte mein Unterbewusstsein mir zu. „ANIKA!“ schrie sogleich mein wohl erzogenes Bewusstsein, „Hör auf mit den albernen Gedankenspielen. Guck da am besten gar nicht mehr hin. Konzentrier dich einfach auf seine Augen!“ Ich tat, wie mir befohlen.

Auf diese Augen konnte man sich ganz leicht konzentrieren. Es waren stahlblaue Augen, die umrahmt von vielen Grübchen inmitten des freundlichen Gesichtes eines älteren Herren saßen. Das Blau dieser Augen war wirklich faszinierend. Ich überlegte noch, ob wohl besondere Kontaktlinsen dazu nötig waren, so etwas hinzubekommen und ob in seiner Jugend wohl viele Mädchen daran zerschmolzen waren, als mir bewusst wurde, dass der Mann ja noch immer mit mir sprach. Also konzentrierte ich mich nun auf seine Worte. Er war gerade dabei, über seinen persönlichen Standpunkt zum Thema Ehe zu sprechen. Als der nächste Satz jedoch mit „Ich bin ja nunmal nicht so der blauäugige Typ...“ begann, richtete ich meinen Blick lieber schnell wieder auf die Spinne, um nicht laut los zu prusten: „Hahahaaaa, bist du sicher?! Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut?!“ Gott sei dank musste ich an meinem heruntergeschluckten Gelächter nicht ersticken, da der Standesbeamte ohnehin immer wieder kleine Scherze einbaute, um die Meute bei Laune zu halten. Ein Klassiker ist seitdem übrigens im Zusammenhang damit ob man es schafft, sich als Ehepaar so aufeinander einzustellen, dass man ein Leben lang zusammenbleiben kann: „Naja, ich muss ja sagen, ich bin eher so der Das-Glas-ist-halb-leer-Typ, aber bei Ihnen bin ich guter Dinge...“. Ein guter Freund von mir – Schauspieler aus München – war sofort verliebt in den Mann.

Das jedenfalls sind die klarsten Erinnerungen an meine Trauung. Natürlich weiß ich auch noch genau, wie ich das Wörtchen „Ja“ betonte (und das daraufhin alle Anwesenden überschwänglich kicherten), oder dass ich heulen musste, als meine beiden Schwestern nach dem Ja-Wort für uns das Lied „Ich bin da“ von Jule Neigel sangen. Viele viele weitere Dinge sind mir von diesem Tag noch im Gedächtnis. Und alle zusammen bilden das Gefühl, dass der gesamte Tag mit Vorbereitung, Trauung, Kaffe und Kuchen im Renaissancegarten und Party in der Hofstube viel schöner war, als ich es mir jemals hätte erträumen können.

Trotzdem erinnere ich mich mit meinen Freunden ganz besonders gern an die kleine Spinne. Denn – seien wir mal ehrlich – an einem sonnigen Tag und einer warmen Nacht in einer Burg die perfekte Hochzeitsfeier zelebrieren können Viele. Aber eine fröhliche Spinne und einen humorvollen Pessimisten als Standesbeamtenteam – das ist nur ganz Wenigen vergönnt! ;)


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